Katharina Eckstein/Ernst Beeh

Reinkarnation aus dem Nichts

Auszubildende bauten Maybach SW 38 auf

Maybach-Fahrt

Um manche Automobil-Klassiker ranken sich fantastische Geschichten. Doch die folgende Geschichte über die wundersame Wiederauferstehung eines nicht mehr vorhandenen Maybach SW (Schwingachswagen) 38 hat sich tatsächlich in Wilhelm Maybachs Heimatstadt Heilbronn zugetragen!

Weil Karl Maybach vor allem die Entwicklung innovativer Spitzentechnik als Reputation für seine Wagen am Herzen lag, überließ er die Aufbaugestaltung renommierten Karossiers in Abstimmung mit dem jeweiligen Kunden. Auf diese Weise entstand mit jedem der insgesamt rund 1800 gebauten Maybach-Wagen ein Unikat. Nur rund 160 von ihnen sind bis heute erhalten geblieben. Zu diesem illustren Kreis historischen Automobiladels zählt seit 2001 auch ein einzigartiges SW 38 Cabriolet Baujahr 1936.

„Immer, wenn ich den Wagen sehe frage ich mich, ob ich seine abenteuerliche Wiedergeburt nur geträumt habe. Denn zu Anfang gab es keine restaurierbare Substanz, sondern zunächst nur eine Idee und wenig später vier alte, originale Räder. Und heute tragen sie einen echten Maybach!", erinnert sich Klaus Schellenberger (1946-2019), ehemaliger Oberstudienrat an der Wilhelm-Maybach-Schule in Heilbronn und Initiator eines beispiellosen Projektes. In 18 Jahren ließen rund sechs Generationen besonders Kfz-Azubis, natürlich unter fachkundiger Anleitung und mit tatkräftiger Unterstützung erfahrener Lehrkräfte, wieder auferstehen, was bis dato nicht mehr existierte: Ein leibhaftiges, voll funktionstüchtiges Maybach-Cabriolet!

Nachdem die Gewerbliche Schule I anno 1973 in Wilhelm-Maybach-Schule umbenannt worden war, hielt der umtriebige Pädagoge jahrelang Ausschau nach einem persönlichen Arbeitsstück des berühmten Namengebers und Sohnes der Stadt für ein Memorial im Eingangsbereich. Doch selbst das Unternehmensarchiv der MTU konnte nicht helfen, steuerte aber ersatzweise Chassis-Zeichnungen von Sohn Karl Maybach bei. Diese wiederum führten zu der grundlegenden Idee, im Praxisunterricht einen Rahmen originalgetreu nachzubauen, was jedoch letztlich an technischen Schwierigkeiten scheiterte.

Rahmen Vier Originalräder und ein Rahmen waren Ausgangspunkt des beispiellosen Aufbaus eines schuleigenen Maybach SW 38. [Foto: Wilhelm-Maybach-Schule Heilbronn]

1983 schließlich brachten vier gestiftete Originalräder, entdeckt an einem alten Handwagen im MTU-Werk Friedrichshafen, dem direkten Nachfolgeunternehmen der Maybach-Motorenbau GmbH, das Projekt symbolisch ins Rollen. Mit der Gründung des „Fördervereins Wilhelm-Maybach-Schule e.V." erhielt die inzwischen zur Absicht gereifte Vision vom Wiederaufbau eines Maybachs ab 1985 eine offizielle Basis.

Unermüdliche Kontaktpflege, angefangen bei der Familie Maybach, über Mitglieder des Maybach-Clubs bis hin zu Freunden und auch Förderern bei DaimlerChrysler, öffnete viele hilfreiche Türen. So richtig los ging es dann ab 1988 mit dem käuflichen Erwerb eines vom Zahn der Zeit rotbraun patinierten Rahmens als solider Ausgangsbasis. Fortan begleitete die Arbeiten eine geradezu archäologisch-akribische Spurensuche nach Originalteilen, ergänzt durch die handwerklich anspruchsvolle Nachfertigung nicht mehr beschaffbarer Komponenten.

Rahmen Bei der Feier zum 150. Geburtstag Wilhelm Maybachs 1996 wurde das fertige Fahrgestell präsentiert. Zum 100. Geburtstag des ersten Mercedes im Jahr 2001 war die Karosserie komplett aufgebaut. [Foto: Wilhelm-Maybach-Schule Heilbronn]

Spielkarte Während es kein allzu großes Problem war, ein einbaufertiges Getriebe von einem Mitglied des Maybach-Clubs zu erwerben, dauerte die Suche nach einem Originalmotor zunächst längere Zeit, bis ein edler Spender mit einem überholungswürdigen Motor half.

Wesentlich abenteuerlicher gestaltete sich 1996 die Odyssee der Gläser-Karosserie von ihrer zufälligen Entdeckung bis hin zu ihrer Vereinigung mit dem Chassis: Sie wurde als Aufbau auf einem vorbeifahrenden russischen Lkw-Fahrgestell in Bulgarien gesichtet. Nach zähen Verhandlungen mit dem Besitzer gelang es schließlich, das desolate Stück via Moskau und St. Petersburg nach Heilbronn zu transferieren. Hier stieß man dann auf ein überraschendes Indiz früherer Einzelanfertigung: Ungeachtet eindeutiger SW-Zugehörigkeit, war diese Karosserie offenbar ursprünglich für ein etwas kürzeres Chassis angefertigt worden. Im Verlauf der ohnehin umfangreichen Blech- und Schweißarbeiten war es relativ einfach, auch dieses Problem zu lösen.

Was dann schließlich 2001 nach 18 Jahren wie neu auf den Rädern stand, konnte sich sehen lassen und bestand selbst kritischste Beurteilungen.

Das beste Zeugnis stellten die Marken-Experten und Gralshüter des Mythos Maybach aus: Sie akzeptierten das SW 38/42-Cabriolet als Mitglied des honorigen Maybach-Clubs. Auch die Zulassungs-Bürokratie spendete ihren Segen: Sie dokumentierte die automobile Wiedergeburt per neuem Kfz-Schein als Baujahr 1938 anhand der Fahrgestell-Nummer 1675. Und zum 5. Juli 2001 erteilte sie die aktuelle Wiederzulassung als HN-SW 38 H, auf „Wilhelm-Maybach-Schule Verein, Heilbronn".

Aktionstag „Gucken Sie ihn an, aber bitte nicht mit den Fingern!" lautet das Motto beim jährlichen Maybach-Aktionstag, an dem der schuleigene Oldtimer neuen Schülerinnen und Schülern vorgestellt wird. [Foto: Katharina Eckstein]

Seither bereichert der junge Veteran nicht nur die Maybach-Klassikerszene bei Club-Treffen und glänzt als Film- und Fotomodell, sondern geleitet auf Wunsch auch Brautpaare stilvoll in den siebten Himmel.


Der Text erschien 2004 in einer Broschüre, die ein Treffen von Mercedes-Benz und Maybach in Mülheim dokumentiert. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Ernst Beeh.

Der Aufbau des schuleigenen Maybach SW 38 ist dokumentiert in dem Buch “Das Maybach-Mosaik. Von der Vision zu einem Maybach Automobil”, 2003 herausgegeben von Günter Engelen.

Der Maybach kann gebucht werden unter: foerderverein@wms-hn.de