Interview Katharina Eckstein und Heiko Rebstock

>Mein Großvater hat den ersten Mercedes erfunden<

Irmgard Schmid-Maybach berichtet über ihre berühmten Vorfahren und ihre enge Verbindung zur Wilhelm-Maybach-Schule. Irmgard Schmid-Maybach wurde 1923 als viertes von fünf Kindern von Käthe und Karl Maybach, dem Sohn von Wilhelm Maybach, geboren.

IrmgardSchmidMaybach

Frau Irmgard Schmid-Maybach, Sie sind die Enkelin von Wilhelm Maybach, dem König der Konstrukteure und Erfinder des ersten Mercedes, und 1923 geborene Tochter von Karl Maybach, der in die Fußstapfen seines Vaters Wilhelm als Motoren- und Automobilkonstrukteur getreten ist. War Ihre Kindheit eine Kindheit mit Dieselgeruch und Motorenlärm?

Irmgard Schmid-Maybach: Mein Vater hat Arbeit und Privatleben recht streng getrennt, es wurde nie darüber gesprochen, was mein Vater im Geschäft machte. Dazu gibt es auch eine Anekdote. Als meine älteste Schwester in die Schule gekommen ist, wurden alle gefragt, was ihre Väter machen. Sehr viele antworteten: Mein Vater schafft im Motorenbau und genau das hat meine Schwester auch gesagt.

Heute leben Sie in San Francisco. Welche Gründe haben Sie bewogen, als Lebensmittelpunkt die USA zu wählen?

Schmid-Maybach: Mein Mann war bereits in den USA als Arzt etabliert – ich hatte ihn vorher in den USA kennen gelernt und wir hatten in Deutschland geheiratet. Vom ersten Tag an, als wir 1957 umgezogen waren in die USA, war ich die Arzthilfe in seiner Praxis. Deutschland war dennoch über die Jahre sehr wichtig, hier habe ich über die Jahre meist mehrere Wochen verbracht.

Ihr Großvater Wilhelm hatte keinen einfachen Start ins Leben, mit acht Jahren war er Vollwaise, kam mit zehn Jahren ins Bruderhaus nach Reutlingen. Wie haben Ihren Großvater die schwierigen Umstände in seiner Jugendzeit geprägt?

Schmid-Maybach: Wie soll ich das ausdrücken. Mein Großvater hat gar nie sich über irgendwas beklagt und er hat das Leben so hingenommen, wie es auf ihn zugekommen ist.

Ihr Großvater hatte das Glück zur richtigen Zeit Freunde und Förderer seiner Arbeit zu finden. Wie wichtig waren für ihn Gottlieb Daimler und Emil Jellinek?

Schmid-Maybach: Der Begriff der Freundschaft ist hier etwas unscharf. Partnerschaft trifft das Ganze aber recht gut: Gottlieb Daimler hat die Projekte umrissen, Wilhelm Maybach als unermüdlicher Konstrukteur hat die Lösungen gefunden. Ähnlich war es mit Jellinek, der benannte, was er suchte – mein Großvater hat das dann technisch möglich gemacht. Von ihm gibt es wohl auch den Ausspruch: Ich und der Herr Jellinek haben den Mercedes gemacht.

Jellinek Der österreichische Kaufmann Emil Jellinek (1853 – 1918) benannte den von Maybach konstruierten Wettbewerbsrennwagen nach seiner Tochter Mercedes.
[Foto: Mercedes-Benz Classic]

Wenn Sie heute einem unserer Schüler oder einer Schülerin begegnen würden, was würden Sie ihm oder ihr gerne von Ihrem Großvater erzählen?

Schmid-Maybach: Mein Großvater hat sein ganzes Leben lang gearbeitet. Sobald eine Sache fertig war, wurde schon die nächste Sache angegangen. Die Dinge zu Ende bringen, aber auch schon über das Nächste nachdenken, immer auf das Neue aus. So hat mein Großvater auch das moderne Automobil, den ersten Mercedes, entwickelt.

Maybach Produkte waren nicht als Luxusprodukte konzipiert, dies betrifft vor allem die Automobile, sondern als Hochleistungsprodukte mit Qualität, die dann auch noch stetig verbessert worden sind. Dieses Qualitätsdenken und der Wille, dieses Bestreben konsequent zu verfolgen, ist etwas, das auch heute noch in den Zeiten der Digitalisierung Bestand hat.

Und was würden Sie gerne von Ihrem Vater erzählen?

Schmid-Maybach: Jemand, der den Hof kehrt, ist genauso wichtig, wie jemand, der am Reißbrett steht. Das Menschliche im Blick zu behalten und jeden für seine Aufgabe zu respektieren, das war meinem Vater sehr wichtig. Aber auch von seinem bedingungslosen Qualitätsdenken würde ich erzählen, denn Maybach war kein Luxus an sich. Die Produkte waren das Beste und wurden immer weiter verbessert und somit eben auch teuer.

Ihr Vater und Ihr Großvater haben sehr eng zusammengearbeitet. Wie würden Sie das Verhältnis der beiden beschreiben?

Schmid-Maybach: Das war in jedem Fall sehr eng. Es war ein stetiges Unterstützen und Fördern. Mein Großvater hat meinem Vater schon sehr früh Studienaufenthalte ermöglicht, die beiden waren über lange Zeit in ständigem Briefkontakt. In diesen Schreiben, die heute noch erhalten sind, ging es fast ausschließlich um technische Fragestellungen, zu denen die beiden sich intensiv ausgetauscht haben. Ich bin zwar fast 100 Jahre alt, aber kann mich noch gut daran erinnern.

Kinderbild
Irmgard Schmid-Maybach auf dem Arm ihres Großvaters Wilhelm Maybach an dessen 80. Geburtstag 1926 [Foto: Historisches Archiv, Rolls-Royce Power Systems AG]

Ihr Vater hat unter anderem die Maybach-Wagen hergestellt, von denen unsere Schule einen SW 38 besitzt. Was war ihm bei der Konstruktion der Maybachs besonders wichtig?

Schmid-Maybach: Höchste Qualität ohne Kompromisse war ihm enorm wichtig – bei allen Bestandteilen vom ersten Wagen an. Dieses Qualitätsdenken ging aber noch damit einher, dass man stets den Nutzer im Blick hatte – ein Wagen, der sich mit einem Hebel am Lenkrad schalten lässt, das war eine große Erleichterung und Neuheit für die Zeit gleichermaßen.

Die Automobilindustrie befindet sich heute in einem tiefgreifenden Umbruch. Was wäre Ihrem Vater und Ihrem Großvater für das Auto der Zukunft wichtig gewesen?

Schmid-Maybach: Nutzerfreundlichkeit war etwas, das beide in jedem Fall im Blick hatten – sei es die Sicherheit des Fahrers des ersten Mercedes, den mein Großvater entwickelt hatte, oder seien es die Motoren für Züge, die mein Vater entwickelt hatte, um nur Beispiele zu nennen. Mit der Verdieselung wurden die Züge effizienter und es brauchte keinen Heizer mehr, der die Kohlen schippen musste. Aber auch Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind insbesondere heutzutage sehr wichtige Aspekte.

AusfahrtRennwagen Der von Wilhelm Maybach konstruierte Mercedes 35 PS startete erfolgreich bei der Rennwoche in Nizza 1901.
[Foto: Mercedes-Benz Classic]

Sie sind unserer Wilhelm-Maybach-Schule seit Jahrzehnten eng verbunden, obwohl Sie in den USA leben: Was verbinden Sie mit der Schule?

Schmid-Maybach: Es ist erfreulich, dass in Heilbronn, einem wichtigen Ort für die Maybach-Geschichte, mit der Schule der Name nach wie vor präsent ist. Somit gibt es einen weiteren Ort, an dem das Erbe wachgehalten wird – nicht nur im Stadtarchiv Heilbronn mit den Beständen aus Familienbesitz, sondern auch mit einer Einrichtung, die das Vermitteln von Wissen und Fertigkeiten nach wie vor lebt.

WMS-Heilbronn Zum 100. Geburtstag des ersten Mercedes im Jahr 2001 wurde der fertige schuleigene Maybach SW 38 präsentiert. Auf dem Beifahrersitz Irmgard Schmid-Maybach
[Bild: Wilhelm-Maybach-Schule Heilbronn]

Unter anderem haben Sie den Maybach-Preis gestiftet, den wir jedes Jahr an unserer Schule fünf Schülerinnen und Schülern verleihen dürfen. Welche Absicht hatten Sie mit der Stiftung dieses Preises?

Schmid-Maybach: Mit diesem Preis möchte ich die Biografie von Wilhelm Maybach auch für die Gegenwart wirksam machen – anhand der Förderung von jungen Talenten. Auch das Restaurationsprojekt des SW 38 der Schule habe ich damals sehr gerne unterstützt und mitgefördert, denn es war einzigartig und zeugt auch heute noch von der großen Leidenschaft vieler Heilbronner und auch der jüngeren Generation für den Namen Maybach.

Lange Zeit schien der Name Maybach aus der deutschen Motorengeschichte verschwunden, den ersten Mercedes, den Ihr Großvater an der Seite Daimlers konstruiert hatte, verband man in der Öffentlichkeit fast ausschließlich mit Daimler. Den Namen Maybach im öffentlichen Gedächtnis der Technikgeschichte lebendig zu halten, das ist Ihnen deshalb ein wichtiges Anliegen. Wie sieht hier Ihr weiteres Engagement für den Namen Ihrer Familie aus und was wünschen Sie sich da noch für die Zukunft?

Schmid-Maybach: Das war mir immer ein großes Anliegen, das stimmt. Weil ich mir immer gedacht hab’, das alles ist nur Daimler und das stimmt gar nicht. Wilhelm Maybach war der eigentliche Konstrukteur. Ich möchte, dass die Leute sich gewahr sind, das war das erste moderne Auto und der erste Motor für ein Auto, den Wilhelm Maybach entwickelt hat. Mit der Wilhelm & Karl Maybach Foundation und deren deutscher Schwesterstiftung wird diese Mission über verschiedene Projekte fortgeführt. In den USA steht Mentoring im Fokus. Auf deutscher Seite gibt es ein Sammlungs- und Archivprojekt, wobei man sehr eng mit dem Freundeskreis Maybach Museum e.V. zusammen arbeitet. Sehr wichtig ist mir die Realisierung eines eigenständigen musealen Auftritts zu den Entwicklungen meines Vaters und Großvaters, hierzu werden verschiedene Optionen mit großem Engagement vorangebracht. In der Vergangenheit war ich zudem eine Zeit lang, vielleicht so zehn Jahre, im Aufsichtsrat der MTU Friedrichshafen. Damit habe ich mich von hier aus beschäftigt.

Haben Sie noch einen persönlichen Wunsch für die Schülerinnen und Schüler und für die Lehrerinnen und Lehrer der Wilhelm-Maybach-Schule?

Schmid-Maybach: Mein Vater hat einmal gesagt: Wenn man nichts riskieren will, dann braucht man nicht Ingenieur oder Techniker zu werden. Gerade bei den aktuellen Hindernissen braucht es Mut: Ich wünsche allen diesen Mut, den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft offen zu begegnen.


Bei der Transkription war die Wilhelm & Karl Maybach Foundation behilflich. Das Interview erschien zu Wilhelm Maybachs Geburtstag am 9. Februar 2021 in der Heilbronner Stimme. Irmgard Schmid-Maybach verstarb am 21. November 2021.

Bildnachweis für das erste Bild auf der Seite:
[Bild: Rolls-Royce Power Systems AG / MTU Friedrichshafen GmbH]