Interview: Katharina Eckstein, Heiko Rebstock

>Maybach war ein richtiger schwäbischer Schaffer<

Niemann Der Biograf Dr. Harry Niemann über Wilhelm Maybachs Leistungen und seine Bedeutung für den Automobilbau

Sie haben 1995 eine große Biografie zu Wilhelm Maybachs Leben vorgelegt. Was fasziniert Sie an Wilhelm Maybach besonders?

Dr. Harry Niemann: Maybach gehört mit zu den Gründungsvätern der heutigen Daimler AG und ist in erster Linie als Techniker ein faszinierender Mann. Er hat als Teilhaber mit Gottlieb Daimler zusammen die Daimler-Motoren-Gesellschaft ins Leben gerufen und war technischer Kopf des Unternehmens. Zusammen mit Gottlieb Daimler hat er den Viertaktmotor von Otto miniaturisiert und das Problem der Zündung mit der Glührohrzündung gelöst, um den Viertakter klein und leistungsfähig machen zu können. Im Übrigen hat Maybach die ganze Entwicklung zum motorisierten Verkehr mitgeprägt: Holzmotorrad, Motorkutsche, Stahlradwagen – das sind Innovationen, die von Maybach entwickelt wurden und die die Daimler-Motoren-Gesellschaft erst möglich gemacht haben.

Was waren unter den vielen Konstruktionen Maybachs die herausragendsten Leistungen?

Niemann: Der erste Mercedes von 1901 hat seinem Konstrukteursleben die Krone aufgesetzt. Das war das erste moderne Auto, das konstruiert wurde, mit langem Radstand, niedrigem Schwerpunkt, vorne liegendem Vierzylindermotor und Bienenwabenkühler, der erstmals die Kühlproblematik grundsätzlich behoben hat.

Wenn man seine Lebensleistung betrachtet, ist es auch bemerkenswert, wie er den eigenen Sohn Karl zu seinem Nachfolger aufgebaut und befähigt hat, in seine Fußstapfen zu treten. Es ist wirklich verblüffend, dass er seinen Sohn so perfekt auf die Schiene gesetzt hat.

Wie hat er das getan?

Mercedes Niemann: Als er noch Chefkonstrukteur bei der Daimler-Motoren-Gesellschaft war, hat er den Sohn zum Beispiel 1906 intensiv miteinbezogen. Und zwar beim Bau eines 6-Zylinder-Rennwagens, der auch aus heutiger Sicht noch das Vorbild für alle modernen Hochleistungsmotoren ist. Und er hat dafür gesorgt, dass er in entsprechenden Gesellschaften in Europa tätig war, um sich Fachwissen anzueignen. In dieser Zeit haben sie sich fast täglich in Briefen intensiv ausgetauscht. Für Karl war dies wie eine Art Fernstudium.

Karl Maybach wurde technischer Leiter der Luftfahrzeug-Motorenbau GmbH, die 1909 auch auf Betreiben von Wilhelm Maybach hin gegründet wurde, und hat später in der umbenannten Maybach-Motorenbau GmbH Automobile konstruiert, die in direkter Konkurrenz zu den Mercedes-Benz-Fahrzeugen standen. Wie kam es dazu?

Niemann: Maybach hat 1908, als er die Daimler-Motoren-Gesellschaft am 1. April 1907 im Streit bereits verlassen hatte, einen berühmten Brief an Graf Zeppelin geschrieben, nachdem dessen Luftschiff auf einer Erprobungsfahrt nahe Echterdingen zerstört wurde. Er schrieb Zeppelin, dass sein Sohn in der Lage sei, ihm bessere Luftschiffmotoren zu bauen, und hat damit erreicht, dass die erfolgreiche Zusammenarbeit von Zeppelin mit der Daimler-Motoren-Gesellschaft beendet wurde und Zeppelin voll auf Maybach-Motoren gesetzt hat.

Was war Maybachs Erfolgsgeheimnis?

MaybachundDaimler Niemann: Das war eine gewisse calvinistische Arbeitsethik, die ihn da beflügelt hat. Für Maybach gab es keinen Feierabend, alle außerberuflichen Aktivitäten waren eher eine Belastung. Und er hatte das Glück, dass er mit Gottlieb Daimler einen Förderer und Visionär hatte, der ihn immer auf die richtige Spur gesetzt hat. Maybach hat immer sehr konzentriert und gezielt auf Probleme reagiert und entsprechende Alternativen entwickelt: Mit der Schiebersteuerung konnte man den Motor nicht hochdrehen lassen, also hat er die Glührohrzündung entworfen. Mit den Röhrchenkühlern konnte man die Motorleistung nicht nach oben fahren, also hat er den Bienenwabenkühler erfunden.

Maybach und Daimler haben über 30 Jahre lang sehr eng zusammengearbeitet. Was hatten sie für ein Verhältnis zueinander?

Niemann: Das war schon das Verhältnis eines Patrons zu seinem Mitarbeiter. Wie oft in solchen Konstellationen war es üblich, dass die Patente auf den Namen Daimler angemeldet wurden, der sie bezahlt hat. Maybach hat sein Verhältnis zu Daimler am Ende bisweilen kritisch betrachtet, weil sich Daimler als „Alles-Erfinder" gesehen hat.Letztendlich war es aber eine intensive fachliche Zusammenarbeit, bei der jeder seinen Teil geleistet hat. Deshalb teile ich den Appell eines Technikhistorikers, wenn es um die Erfindungen geht: „Man nenne sie zusammen."

Nach Daimlers Tod 1900 kam es zu einem fortschreitenden Zerwürfnis zwischen Maybach und der Daimler-Motoren-Gesellschaft, das 1907 zu Maybachs Ausscheiden führte. Emil Jellinek, mit dem er den ersten Mercedes geschaffen hat, hatte dies kommen sehen und Maybach davor gewarnt. Warum hat das nichts genützt?

Niemann: Maybach war von seinen großen Verdiensten überzeugt und hat sich seiner Arbeit und seiner Position sicher gewähnt. Er wurde von der internationalen Presse ungeheuer gehypt und da entstand natürlich das Gefühl, „mir kann keiner was". Jellinek hatte ihm angeboten, mit ihm eine Automobilfabrik in Frankreich zu bauen, aber dazu war Maybach zu bodenständig und zu sehr mit dem Unternehmen verbunden. Und er hat nicht gesehen, dass die beiden Söhne Gottlieb Daimlers, Paul und Adolf, aus dem Schatten Maybachs heraustreten wollten, der ja wirklich sehr groß war.

DaimlerMotorenGesellschaft Wilhelm Maybach gehört mit zu den Gründungsvätern der heutigen Daimler AG. Hier sitzt er 1902 am Steuer eines Mercedes-Simplex-Wagens in der Cannstatter Fabrik der Daimler-Motoren-Gesellschaft.
[Bild: Mercedes-Benz Classic]

Ist das auch der Grund, warum man Daimler, Benz und Maybach lange nicht in einem Atemzug genannt hat?

Niemann: Die Daimler-Benz-Chronisten haben es vermieden, allzu sehr auf die Verdienste Maybachs abzuheben. Denn Karl Maybach war mit seiner Maybach-Motorenbau GmbH direkte Konkurrenz zu den Mercedes-Wagen. Im Endeffekt waren das zwei konkurrierende Firmen, da singt der Konkurrent nicht das Loblied auf den anderen. Nicht zuletzt deshalb hat der Daimler-Biograf Paul Siebertz bei Gottlieb Daimlers Leistungen maßlos übertrieben und die Verdienste Wilhelm Maybachs kleingeredet und alles Daimler zugute geschrieben. Das war für die Maybachs kein schönes Erleben.

Wird das heute anders gesehen?

Niemann: Ja, 1996 kam es im Zuge der Feierlichkeiten anlässlich des 150. Geburtstags Wilhelm Maybachs in Heilbronn zu einem grundlegenden Wandel, der unter anderem auch dazu führte, dass es nun Maybach als Typenbezeichnung für einen Mercedes-Benz gibt als Hommage an Wilhelm Maybach, der den ersten Mercedes gebaut hat.

Was hat Maybach als Menschen ausgemacht?

Niemann: Maybach war ein richtiger schwäbischer Schaffer, der von seiner Lebensführung grundsolide war. Und er hatte mit seinem behinderten Sohn Adolf eine schwere Last zu tragen, der im Rahmen der T4-Aktion letztlich von den Nationalsozialisten in Grafeneck umgebracht wurde. Das war für ihn eine ganz schwierige Situation. Er hatte den Karl, der war sozusagen der Fixstern, und im Gegensatz dazu der behinderte Sohn. Das hat ihn und auch seine Ehe belastet, weil er nicht wusste, wie es mit Adolf weiter geht.

FamilieMaybach Familie Maybach 1902 in ihrem Wohnzimmer. Es ist das letzte Bild von Sohn Adolf (zweiter von rechts), der von den Nationalsozialisten ermordet wurde.
[Bild: Stadtarchiv Heilbronn]

Adolf erkrankte wohl um 1900 an einer Form der Schizophrenie und hat seit 1912 in der Württembergischen Heilanstalt Schussenried gelebt. 1940 wurde er ermordet.

Niemann: Wilhelm Maybach hat das zum Glück nicht mehr miterleben müssen, das ist dann alles auf den Karl zugekommen, wobei die Angehörigen von den Nationalsozialisten belogen wurden und einen Brief mit der Information erhielten, dass Adolf Maybach an einer Krankheit verstorben sei. Ich glaube, Karl wusste auch lange, lange nicht, was mit seinem Bruder passiert ist. Es war nicht so, dass man offen damit umgegangen ist.

Wie ist Karl Maybach dann damit umgegangen? Hat dabei eine Rolle gespielt, dass er Panzermotoren für Hitler gebaut hat?

Niemann: Karl Maybach hat den ganzen Umfang der Tragödie wohl erst nach dem Krieg erfahren. Er war ja, wie Porsche auch, Wehrwirtschaftsführer, hat aber dennoch die gleiche, nämlich verfälschte Informationslage gehabt wie viele andere auch, deren Angehörige der Euthanasie zum Opfer gefallen sind.

Welche Bedeutung hatte Wilhelm Maybachs Kindheit im Bruderhaus für seine Geisteshaltung und seine konstruktiven Leistungen?

Niemann: Die Fähigkeit, sich auf ein Alter Ego einzulassen und mit diesem zu kooperieren, hat Maybach im Waisenhaus gelernt. Dort ist es auch zum Kontakt mit Daimler gekommen, der 1863 als Konstrukteur in die Bruderhaus-Fabrik nach Reutlingen kam. Da hat es gefunkt zwischen den beiden. Maybach hat tiefes Vertrauen zu Daimler gehabt und ist ihm überall hin nachgefolgt. Und Daimler hat das Potenzial des jungen Mannes erkannt und für sich genutzt.

Was kann aus Ihrer Sicht heute wertvoll für unsere Schülerinnen und Schüler sein, wenn sie sich Maybachs Lebensweg vergegenwärtigen?

Niemann: Einfach der Umstand, dass er ein Wegbereiter der automobilen Entwicklung war. Dieser schwierige Weg vom riesigen Stationärmotor zum kleinen, schnelllaufenden Verbrennungsmotor. Dass er die ganzen Hürden, die es da zu überwinden galt, wie Drehzahlerhöhung und Kühlung, dass er das in sehr akribischer und präziser Arbeit erledigt hat.

Unsere Schule besitzt eines der Autos, die Wilhelms Sohn Karl gebaut hat. Wie viel Wilhelm Maybach steckt in den Maybachfahrzeugen?

Niemann: Da steckt das ganze Know-How drin, das er seinem Sohn vermittelt hat. Und Karl hat den ersten deutschen 12-Zylinder, den Maybach Typ Zeppelin, als eine Hommage für seinen Vater gebaut, um den Beweis zu erbringen, dass er die Daimler-Söhne von seinem konstruktiven Können her überholt hat, mit denen er in einem Ideenwettbewerb stand. Das war auch für Wilhelm Maybach eine tiefe Befriedigung.


Dr. Harry Niemann ist Historiker und Publizist. Von 1989 bis 2008 leitete Niemann das Historische Archiv der Mercedes-Benz AG und war Leiter des Bereichs „Unternehmensgeschichte, Konzernarchiv und Sammlung" der Daimler AG.

Auswahl der Veröffentlichungen zu Wilhelm und Karl Maybach:

  • Wilhelm Maybach. König der Konstrukteure. Zum 150. Geburtstag. 1. Aufl. Motorbuch Verlag, Stuttgart 1995.
  • Mythos Maybach. 4., überarb. Aufl. Motorbuch Verlag, Stuttgart 2002.
  • Maybach the Legend. Motorbuch Verlag, Stuttgart, 2003.
  • Karl Maybach: Seine Motoren und Automobile. Motorbuch Verlag, Stuttgart 2004.
  • Karl Maybach. His Engines and Automobiles. Mercedes-Benz Classique Car Library, Fredericksburg, Texas, 2006.

Weitere Bildnachweise sofern nicht in der Bildunterschrift genannt:

  • Maybach-Experte Dr. Harry Niemann [Bild: Dr. Harry Niemann]
  • Maybachs 6-Zylinder-Rennwagen von 1906 ist auch aus heutiger Sicht noch das Vorbild für alle modernen Hochleistungsmotoren. [Bild: Mercedes-Benz Classic]
  • Gottlieb Daimler links und Wilhelm Maybach haben über 10 Jahre eng zusammengearbeitet, unter anderem beim ersten schnelllaufenden Motor 1883, hier gezeichnet von Hans Liska